Von See zu See

Das sind keine Olivenhaine, nein, das ist ein Olivenwald! Wir fahren dem Ufer des Bafa-Sees entlang, er sieht kaum anders aus als die Ägäis, die wir vor kurzem hinter uns gelassen haben. Und tatsächlich war er früher auch mit dem Meer verbunden, bevor der Fluss, der Grosse Mäander, den See mit seinem Schwemmgut von der Ägäis abschnitt. Noch in der Antike lag die Stadt Herakleia am Meer. Heute liegt mitten in der früheren griechischen Stadt am Fuss des Latmos-Gebirges das Dorf Kapikiri. Wir dürfen in der Agora Pansiyon unser Dachzelt aufstellen. Kaum aus dem Auto ausgestiegen, verschwinden Rosa und Stella im riesigen Sandkasten und sind von da an glücklich in ihr Spiel vertieft und von Kopf bis Fuss bedeckt mit glitzerndem Glimmersand. Die Agora Pansiyon ist eine wahre Oase des alternativen Tourismus. Hierher kommen Aussteiger und Wanderlustige aus aller Welt ebenso wie Intellektuelle aus Izmir und Istanbul, um sich von den Strapazen der Stadt zu erholen. Die ganze Familie arbeitet im Betrieb mit, die Mutter kocht – köstlich! –, die beiden Söhne und der Vater führen die Besucher mit oder ohne Esel auf Trekkingtouren zu den versteckten Kirchen und Klöstern des Latmos.

Wir erkunden das Dorf und seine Umgebung zu Fuss. Überall sind Spuren des antiken Herakleia zu sehen: die mächtige Stadmauer mit ihren Wachtürmen, ein komplett zugewachsenes Amphitheater, eine Brunnenanlage und schliesslich die alte Agora, in der wir wohnen. Dazu gesellen sich jede Menge Kühe, Esel, Hühner, Hunde, und Katzen – es ist ein halber Zoo. Einen Eindruck von den Wandermöglichkeiten im Latmos-Gebirge erhalten wir, als wir zum Sieben-Brüder-Kloster laufen. Ein wunderschöner Weg führt den Berg hinauf, und Rosa zeigt uns stolz eine Wegmarke nach der anderen. Jetzt, wo ich Kapikiri, den See und die Berge kennenlerne, erscheint es mir fast unmöglich, dass ich nie zuvor von diesem Ort gehört habe.

Das Herz ist mir ein bisschen schwer, als wir nach einigen Tagen wieder aufbrechen und unsere neuen Bekannten verlassen. Hier liesse es sich gut leben. In einem langen, langen Reisetag fahren wir durch das Tal des Grossen Mäander nach Pamukkale. Der Fluss, der dem Mäander seinen Namen gibt, schlängelt sich in vielen Windungen durch die riesige, flache Talsole. Wasser fliesst nicht sehr viel. Vermutlich wird das allermeiste davon abgezweigt, um die riesigen Felder und Plantagen zu bewässern. Hier wachsen immer noch Olivenbäume, aber auch Kirsch- und Apfelbäume, alle stehen sie in der Blüte und wir fahren durch ein Meer von Weiss und Rosarot. Grosse Feigenbaumplantagen säumen die Strasse, und immer wieder riesige Getreidefelder.

Wir erreichen Pamukkale am späten Nachmittag und sind uns einig: Die Strecke war zu lang. Immerhin gibt es hier einen Campingplatz. Es stellt sich heraus, dass er hoch oben auf dem Berg und weit entfernt vom Ort selbst liegt, aber für eine Nacht ist es in Ordnung hier. Ausser uns ist eine Familie mit zwei Kindern aus der nahen Grossstadt Denizli zu Gast. Sie verbringen den Wochenend-Lockdown hier oben in ihrem Zelt. Wir kochen, sie kochen, und gerade, als wir angefangen haben zu essen, kommen der Mann und die beiden Kindern mit einem Teller von ihrem Essen zu uns herüber und überreichen ihn uns zusammen mit Schokolade für Rosa und Stella. „Im Ramadan ist es bei uns Brauch, das Essen mit unseren Nachbarn zu teilen,“ erklärt der Muslim uns auf Englisch, „und ihr seid heute unsere Nachbarn.“ Die Geste berührt mich sehr. Endlich ertönt der Muezzinruf aus dem Tal herauf. Die Sonne ist untergegangen und unsere Zeltnachbarn dürfen das Ramadanfasten brechen. Das Essen ist köstlich: Hackfleischtätschli und selbst gemachte Pommes Frites, dazu Tomatengemüse mit Kreuzkümmel und anderen, mir fremden Gewürzen. Schon nur für die Begegnung mit diesen Menschen hat sich die Fahrt auf diesen – ansonsten eher unmöglichen – Campingplatz gelohnt.

In Pamukkale besuchen wir das antike Hierapolis. Hier tritt warmes Wasser aus dem Boden aus und formt riesige Felsen aus Kalkstein. Schon vor Jahrtausenden gab es hier Thermen, Bäder und Menschen, welche die Stadt eigens zum Baden in diesem wohltuenden Wasser besuchten. Stella und ich klettern barfuss auf den Kalksteinterrassen herum und innert kürzester Zeit ist sie vom „Chosle“ so nass, dass sie spontan ein Openair-Baby-Thermalbad geniesst. Daniel und Rosa baden inzwischen in der antiken Therme. Rosa war mit ihren orangen Schwimmflügeli schon den ganzen Morgen kaum zu halten, so sehr freute sie sich auf das Bad im warmen Wasser. Als sie zurückkommen, erzählt sie begeistert von den Säulen, über denen sie herumschwimmen und auf denen sie herumklettern konnte. Als wir ins Auto einsteigen, fällt sie innert Sekunden in den Tiefschlaf.

Unser Ziel für die nächsten Tage ist der Salda-See. Der Karte nach zu urteilen ist er wohl nur wenig grösser als der Oeschinensee im Berner Oberland, überlege ich während der Fahrt. Als wir am Ufer ankommen, merke ich, dass ich mich in diesem riesigen Land einmal mehr komplett in den Dimensionen verschätzt habe: Der winzige blaue Fleck auf der Landkarte, ist fast so gross wie der Thunersee und ebenfalls ein Bergsee! Während der Fahrt hierher haben wir gar nicht richtig gemerkt haben, dass wir bis auf 1300 müM gelangt sind. Es liegen nur zwei Dörfer am See, die Berge dazwischen sind von ausgedehnte Pinienwäldern bedeckt. Das Wasser ist tiefblau und türkisfarben am Ufer, der Sandstrand endlos lang, aus feinem, schneeweissem, körnigem Kalkstein.

Die Männer im Restaurant am Strand von Doğanbaba freuen sich über unsere Ankunft und servieren Tee. Touristen sind rar in diesen Tagen, Ausländer erst recht. Umso freundlicher werden wir willkommen geheissen. Wir stellen das Zelt zwischen den Pinien am See auf, und erleben dann eine der kältesten Zeltnächte dieser Reise und einen ebenfalls eisig kalten Tag auf diesem Flecken Erde. Am zweiten Tag lässt der Wind nach, und die Sonne wärmt den Boden. Es dauert nicht lange, da besucht uns eine von den Schildkröten, die hier wohnen. Langsam, aber ohne Zögern und unbeeindruckt von unserem Milobär, spaziert sie vorbei und verschwindet dann wieder zwischen den Büschen.


Und so geht die Reise weiter: Bilder von Egirdir bis Beyşehir

3 Kommentare zu „Von See zu See

  1. Ihr Lieben

    Jeder Taxidia Beitrag von euch ist schlicht und einfach super toll!! Ganz lieben Dank für eure ausführlichen Beschreibungen, schönen Fotos und Klänge der Reise. Wir wünsche euch weiterhin viel Spannendes und herzlichst alles Liebe und Gute.

    Ursi und Peter

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  2. I bi tief bedruckt vo dere Türkei. Leider hanis nie wyter als bis zum Bosporus gschafft. Aber wenn ig öji Reiseroute u die Bilder so aaluege, de chanech garantiere, dass der de gly einisch zwo, drei Woche Ferie bruuchet. Liebi Grüess u «iyi yolculuklar» vom Mächu

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  3. Liebe Nadja, liebe Familie
    Allerbesten Dank für den ausführlichen Bericht und die vielen schönen Fotos. Man meint, direkt mit dabei sein zu
    können, so wie das ausführlich beschrieben ist. Ihr erlebt wirklich interessante Sachen und ihr lebt sehr bescheiden.
    Hoffe gerne, dass ihr all die Sachen, welche ihr euch vorgenommen habt, noch machen könnt und dabei auch gesund
    bleibt. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht und kommt gesund wieder nach Hause.
    Wünsche euch alles Gute und bis zum nächsten Mal.
    Ä Gruess, Thomas.

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