Olivenernte

Seit Tagen schwebt ein leises Knattern über der Ebene von Frangokastello. Die Olivenernte hat begonnen. Überall sind unter den Bäumen die grünen Auffangnetze ausgebreitet. Die Oliven werden mit Stecken heruntergeschlagen oder mit motorbetriebenen Rüttelgeräten von den Ästen geschüttelt – daher auch das allgegenwärtige Motorgeräusch.

Weil unsere Bäume noch nicht so gross sind, und weil wir das Olivenöl zu keinem kommerziellen Zweck gewinnen, bleiben wir bei der Handarbeit. Wir breiten die Netze rund um den Stamm aus und kämmen die kleinen Früchte mit einem Handrechen von den Zweigen – das ist etwa so, als würde man jede Olive persönlich dazu einladen, vom Baum zu kommen. Bei den niedrigeren Bäumen geht das gut im Stehen, bei den grösseren klettern wir auf die Äste oder stellen die Leiter auf. Wir sind froh, dass Besuch aus der Schweiz da ist. So kommen wir zügig voran und schaffen etwa fünf Bäume pro Tag.

Auf einem grossen Tisch sortieren wir Blätter und abgerissene Zweige aus, dann kommen die Oliven in die Säcke. Eifrig füllen auch die Kinder ihre kleinen Eimer mit Früchten. Rosa ist allerdings etwas enttäuscht, dass man die Oliven nicht essen kann: Frisch geerntet sind sie hart, bitter und vollkommen ungeniessbar.

Wir füllen sieben Säcke. Unser Nachbar und Freund Vangelis nimmt die Ernte mit in die Bio-Ölmühle der Familie Dimitrakis im Dorf Marioú. Anders als in anderen Ölmühlen werden hier nur Oliven von ungespritzten Bäumen verarbeitet. Die meisten Olivenbauern behandeln ihre Bäume mit Pestiziden, um die Ernte vor der Olivenfliege und ihren hungrigen Maden zu schützen. Wer das nicht tut, sondern nur mit Fallen oder gar nicht gegen die Fliegen vorgeht und biologisches Öl produziert, muss in der Regel mit einem bescheideneren Ertrag rechnen.

Nach Einbruch der Dunkelheit herrscht in der Ölmühle Hochbetrieb. Ein Pick-Up nach dem anderen fährt vor und lädt die Tagesernte vor dem Eingang ab. Drinnen ist es warm und feucht, ohrenbetäubend laut, und alles duftet betörend nach frischem Olivenöl. Der Inhalt der angelieferten Säcke wird in einen grossen, im Boden eingelassenen Trichter gekippt und auf einem Förderband in die Reinigung transportiert. Zuerst werden grössere Zweige aussortiert, dann trennt ein starkes Gebläse die leichteren Blätter von den schwereren Oliven. Wir stellen fest, dass wir uns die Sortierarbeit hätten sparen können.

Die gewaschenen Oliven werden in Chromstahltanks zu einer zähen, grünen Masse zerstampft und auf ca. 26 Grad erwärmt – das Öl gilt damit als kaltgepresst. Jeder Tank ist mit dem Namen des Produzenten beschriftet und enthält nur dessen eigene Ernte – so kann jeder sicher sein, dass er nur das Öl von seinen Bäumen erhält. Die warme Olivenmasse wird durch ein feines Sieb gedrückt, dann trennt die Zentrifuge das Öl vom Wasser. Schliesslich fliesst aus einem breiten Ausguss das frische Olivenöl. Quietschgrün ergiesst es sich ins Auffangbecken, bereit zum Abfüllen.

Nach den Erntetagen sind wir müde, aber zufrieden. Das Wetter wechselt von Sonne zu Regen und Sturm, und Premierminister Mitsotakis verkündet in einer Rede einen neuerlichen Corona-Lockdown. Vermutlich werden wir nun viel Zeit haben, uns zu erholen.

3 Kommentare zu „Olivenernte

  1. Tief beeindruckt bin ich ob eurer Arbeit. Wenn ich ende nächster Woche im Erdhaus ankomme, wird der Spuk wohl schon vorbei sein. Wunderschöne Fotos! Ganz herzlichen Dank an alle kleinen und grossen Helfer und Helferinnen.

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  2. Liebe Nadja und Familie. Wir sind hier seit einer Woche in Berlin in einer obligatorischen Selbstquarantäne, weil wir aus dem Risikogebiet Schweiz nach Deutschland zurückgekehrt sind. Euren Artikel zur Olivenernte zu lesen und die Bilder aus Frangokastello zu sehen, ist eine bittersüsse Gedankenreise raus aus der Grossstadtwohnung. Ich beneide Euch gerade sehr und freue mich wenigstens geistig auch auf Kreta sein zu dürfen. Danke auch für die Erklärung wie Olivenöl hergestellt wird! Ich habe gerade realisiert, dass ich bisher gar nicht wusste, wie das vonstatten geht. Liebe Grüsse an alle von Miriam, Eleni und mir, Tobi.

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