Gedämpft dringen die Geräusche eines griechischen Morgens von der anderen Talseite zu uns herauf: Knatternde Motoren, Hupen und das Läuten einer Kirchenglocke. Dort unten am Hang erwacht die kleine Stadt mit den steinernen, ziegelbedachten Häusern. Noch sind wir im Zelt wohlig in unsere Schlafsäcke und Decken eingemummelt, aber ich ahne es schon: Da draussen ist es eiskalt. Schnell ziehen wir uns an und klappen das Zelt zusammen. Wir brauchen dringend einen heissen Kaffee und ein gutes Frühstück. Das Autothermometer zeigt 6 Grad an. Unten im Städtchen setzen wir uns ins Café an der Platía, dem Hauptplatz der Stadt. Endlich bricht die Sonne durch die Wolkendecke und scheint warm auf die Terrasse. Als wir die Rechnung anschauen, fallen wir fast rückwärts von unseren Stühlen. Ob es tatsächlich der richtige Zettel ist? Der Kellner bestätigt es, lächelt professionell und sagt: Sie sind hier in Metsovo.




Turmhohe Felsen tauchen aus dem Nebel auf, und werden gleich darauf wieder vom Grau geschluckt. Da oben sind sie also, die berühmten Metéora-Klöster. Wir brechen am Morgen früh vom Campingplatz Meteora Garden auf, parkieren am Strassenrand und laufen das letzte Stück zum Eingang des Klosters. Im leichten Nieselregen steigen wir über die nasse Treppe den Fels hinauf, Rosa und Stella klettern tapfer mit. Die Wolken kommen und gehen und geben den Blick mal auf dieses Kloster, mal auf jenen Felsen und dann wieder auf die Stadt dort unten frei. Stundenlang könnte ich diesem Schauspiel zuschauen. Es ist unglaublich schön. Doch schon jetzt, an diesem regnerischen Morgen in der touristischen Nebensaison sind hier viele Besucher unterwegs, und es werden von Minute von Minute mehr. Unvorstellbar, welcher Rummel hier in einem normalen Sommer herrscht. Diese Klöster können ihrem eigentlichen Zweck gar nicht mehr dienen, geht es mir durch den Kopf. Wollen sich die Mönche und Nonnen vor den Millionen fotowütiger Touristen schützen, müssen sie sich in die besucherfreien Zonen zurückziehen, wo sie faktisch eingesperrt sind – bestimmt eine besondere spirituelle Herausforderung.









Nach den kalten, regnerischen Tagen brauchen wir wieder einmal wärmere Temperaturen. Ein, zwei Stunden Sonne, um die Feuchtigkeit aus dem Zelt zu vertreiben. Und einen Abend zum Draussensitzen, ohne Daunen- und Regenjacke. Anstatt weiter in die Berge fahren wir also hinunter in die Ebene, nach Trikala und Karditsa und suchen einen Platz zum Übernachten. Bisher hatten wir immer Glück in Dörfern mit hübschen Namen. Und so ist es auch dieses Mal: Auf einem kleinen Hügel neben dem Dorf Λεοντάρι / Leontari – also Löwe – gibt es eine Kirche, die dem Propheten Elias geweiht ist. Hier klappen wir das Zelt auf. Bald steigen zwei Frauen die Strasse zur Kirche herauf, Mutter und Tochter. Sie sind auf dem Weg zum Friedhof und möchten uns danach gleich zum Kaffee einladen. Schon so viele Male haben wir es auf dieser Reise erlebt, und trotzdem ist es jedesmal aufs Neue ein kleines Wunder: Durch die Begegnung mit Menschen verwandelt sich ein fremder Ort in ein Zuhause auf Zeit.
Die Platía von Leontari ist an diesem lauen Spätsommerabend belebt. Kinder springen über den Platz, die Frauen sitzen im Café, die Männer im Kafenion. Nach einer Weile haben sich die Dorfhunde an die Anwesenheit von Milobär gewöhnt und beruhigen sich wieder. In der kleinen Taverne gibt es kalten Ouzo und gute Mezedes. Wer hier lebt, ist entweder Landwirt oder pensioniert. Niemand wartet auf Touristen. Niemand hofft im Frühling auf viele Buchungen und volle Hotels. Niemand ist am Ende des Sommers ausgelaugt, weil ihm die Gäste auch dieses Jahr alles abverlangt haben. Leontari ist, was es ist – in seiner ganzen Bescheidenheit ein wunderbarer Ort.
In der frühen Morgensonne hebt sich langsam der Nebel von der thessalischen Ebene. Und gerade, als wir bereit sind für die Weiterreise, fährt ein Auto vor. Die junge Frau vom Vorabend und ihre Mutter; diesmal ist auch der Vater dabei. Sie bringen frisches Gebäck und Saft – als Frühstück für die Kinder!

Die Strasse wird zum Weg und der Weg zu einer Graspiste mitten in den Hügeln von Böotien. Der Regen der letzten Tage hat den Boden aufgeweicht. Der Caddy schwimmt und schlittert wie ein Schifflein durch den Sumpf, und Daniel sieht hinter dem Steuer etwas angestrengt aus. Jetzt nur nicht anhalten! Wir suchen das Timios-Stavros-Kloster, das sich hier irgendwo in den Hügeln befinden muss. Offensichtlich haben wir nicht den offiziellen Weg erwischt. Doch wegen des nassen Bodens gibt es kein Zurück. In der Hoffnung, dass der Weg weiter oben auf dem Hügelzug trockener wird, fahren wir immer weiter hinauf. Und dann stehen wir auf einmal vor dem Kloster.
Eine Schwester sieht, wie wir anhalten und verschwindet sofort im Wohnhaus. Keine Minute später tritt die Γερόντισσα, die Äbtissin heraus, kommt in ihrer schwarzen Tracht energischen Schrittes auf uns zu, öffnet das grosse Tor in einem Schwung und ruft, noch bevor wir etwas sagen können: Seid willkommen! Kommt herein! Eigentlich wollten wir nur fragen, ob wir in der Nähe zelten können. Und jetzt sitzen wir mit der Gerontissa Ieronima bei einem üppigen Zvieri und griechischem Kaffee im Empfangsraum neben der Kirche. So werden wir zu Gästen des Klosters des Ehrbaren Kreuzes. Wir stellen oben auf dem Hügel unser Zelt auf, und die Schwestern bestehen darauf, dass wir unsere Wäsche von ihnen waschen lassen.
Bevor wir am nächsten Tag weiterfahren, sind wir zum Mittagessen in der τράπεζα/Trapeza, dem Klosterspeisesaal, eingeladen. Wir essen schweigend. Schwester Damaskini, die aus einem Kloster in Norwegen zu Besuch ist, liest die Texte von Maximus Confessor zu unseren Ehren in feinstem british englisch. Rosa und Stella begreifen instinktiv, dass jetzt nicht die Zeit ist für Kapriolen und mampfen andächtig die hervorragend gekochten Speisen: Hühnersuppe, Mousaka, Tsatsiki, Brot und Feigen. Als alle fertig sind, läutet die Gerontissa die Glocke und erklärt das Mahl für beendet.
Mitten durch Griechenland sind wir gereist – durch jene Gegenden, an denen die Küste, die Strände, die Inseln nur vage Erinnerungen sind. Jetzt fahren wir über die letzte Hügelkuppe von Böotien, und dann sehen wir endlich wieder das Meer.

Wunderbar, dieser Bericht und die Fotos von einer mir gänzlich unbekannten Gegend.
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Liebe Famile
Danke für diesen schönen Bericht. Wieder in Griechenland, das Herz geht mir auf und ich denke zurück an all die schönen Zeiten in den Kykladen und auch auf Rhodos. Hoffe gerne, dass ihr noch viele schöne Stunden in Griechenland erleben könnt. Grüsst mir das Land und seine lieben Menschen, ich habe viele schöne Erinnerungen!
Ä Gruess u alls Guete.
Thomas H.
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